Mit dem Titel „Umgang mit herausforderndem Verhalten – Kurze Inputs aus ethischer, ärztlicher und pflegerischer Sicht“ fand Ende März die erste gemeinsame Veranstaltung des Ambulanten Ethikkomitees der Ärztekammer des Saarlandes und des Fördervereins der St. Jakobus Hospiz gGmbH statt. Ziel war es, Raum für interdisziplinären Austausch zu schaffen und Perspektiven auf den Umgang mit herausforderndem Verhalten in der medizinischen und pflegerischen Versorgung sichtbar zu machen.
Dr. Dietrich Wördehoff, Moderator des Abends, betonte: „Einmal pro Quartal soll eine gemeinsame Veranstaltung stattfinden.“ Der Auftakt machte dabei deutlich, wie hoch das Interesse und der Bedarf an fachlichem und ethischem Austausch in diesem sensiblen Themenfeld ist.
Grußworte zur Eröffnung
Eröffnet wurde die Veranstaltung mit Grußworten von Frau Simone Nießing, Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft Hospiz Saarland e.V. und Geschäftsführerin der St. Jakobus Hospiz gGmbH sowie Dr. Josef Strauß, dem Präsidenten der Ärztekammer des Saarlandes. Beide hoben die Bedeutung interprofessioneller Zusammenarbeit und ethischer Reflexion in der täglichen Arbeit mit vulnerablen Patient*innengruppen hervor.
Stimmen vom Podium
Das Podium war vielseitig besetzt und spiegelte die unterschiedlichen Blickwinkel auf das Thema wider:
• Martina Wagner, Teamleitung SAPV (Spezialisierte ambulante Palliativversorgung) der St. Jakobus Hospiz gGmbH
• Cornelia Bovani, Pflegedienstleitung Seniorenzentrum St. Franziskus in Dillingen
• Dr. Jennifer Kennel, Chefärztin der Psychiatrie an der SHG Klinik Völklingen
• Johann Schmidt-Drewniok, Richter am Amtsgericht Neunkirchen
Unter der Moderation von Dr. Wördehoff diskutierten die Teilnehmenden anhand konkreter Beispiele, wie mit auffälligem Verhalten in Pflege, Medizin, Psychiatrie und Rechtspraxis umgegangen werden kann – und welche Rolle ethische Grundsätze dabei spielen.
Verhalten als Ausdruck eines Hilferufs
Ein zentraler Konsens war: Auffällige Verhaltensweisen sind häufig Ausdruck innerer Not – ein Ruf nach Hilfe oder Aufmerksamkeit. Besonders Menschen mit demenziellen Erkrankungen zeigen häufig ein Verhalten, das Außenstehende überfordert oder verunsichert. Hier wurde deutlich: Für Fachkräfte im Haupt- oder Ehrenamt ist es essenziell, diese Signale zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren.
Validation und Biografiearbeit als Schlüssel
Im Umgang mit demenziell veränderten Menschen wurde die Bedeutung der Validation und der Biografiearbeit hervorgehoben. Erinnerungsarbeit hilft, Zugang zur Erlebniswelt der Betroffenen zu finden. Martina Wagner betonte: „Wir kommen als Fremde in die Haushalte – oft in einer Phase, in der sich die Menschen im Sterben befinden oder darauf vorbereiten.“ Eine sorgfältige Anamnese zu Beginn der Begleitung sei daher grundlegend.
Zwischen Deeskalation und medikamentöser Unterstützung
Auch das Thema Abwehrverhalten wurde intensiv beleuchtet. Vertrauen sei ein zentrales Element, so Dr. Kennel. In der psychiatrischen Versorgung würden Patient*innen meist erst aufgenommen, wenn alle deeskalierenden Maßnahmen ausgeschöpft seien. Dennoch gelte: „Besser als Medikamente sind deeskalierende Maßnahmen.“ In bestimmten Fällen – etwa bei schwerwiegenden Tag-Nacht-Rhythmus-Störungen – könne eine medikamentöse Unterstützung notwendig werden, sie sollte jedoch immer wohlüberlegt und nachrangig eingesetzt werden.
Rechtliche Perspektiven: Grundrechte wahren
Richter Schmidt-Drewniok erinnerte an die rechtlichen Grundlagen im Umgang mit besonders vulnerablen Patient*innen: Auch Menschen mit Demenz sind Grundrechtsträger. Sie haben ein Recht auf Selbstbestimmung. Wenn sie sich nicht mehr selbst äußern können, sei der mutmaßliche Wille zu ermitteln – mit höchster Sorgfalt.
Statistisch werden 30 bis 40 Prozent der Menschen mit Demenz in stationären Einrichtungen betreut – viele von ihnen sind medikamentös ruhiggestellt. Umso wichtiger sei es, so das Fazit, Alternativen zur medikamentösen Ruhigstellung zu stärken und ethische, pflegerische und medizinische Perspektiven gemeinsam weiterzuentwickeln.